Seminararbeit
Thema 1:
Sozialpsychologische Theorien zu
Urteilen, Entscheidungen, Leistung und Lernen in Gruppen
von S.
Schulz-Hardt et al.
(Stefan
Schulz-Hardt, Tobias Greitemeyer, Felix C. Brodbeck und Dieter Frey)
Artikel in: D. Frey & M. Irle (Hrsg.) (2002). Theorien der
Sozialpsychologie. Band II: Grupen-, Interaktions- und Lerntheorien. Bern: H.
Huber (2. erw. Aufl.), S. 13-41.
PS 27408 Spezifische Schwerpunkte:
Selbstbild und Selbstwert
Dr. Helga E. Schachinger
WS 06/07
eingereicht
von:
Helga
Schaffer
Matr.
Nr.: a0101951
E-mail: helga_schaffer@hotmail.com
Inhaltsverzeichnis
2.1.
Zwei exemplarische Phänomene: Gruppenpolarisierung und
suboptimale Entscheidungen im „Hidden Profile“ Paradigma……………………….3
2.1.1. Gruppenpolarisierung............................................................ 3
2.1.2. Suboptimale Entscheidungen im „Hidden Profile“
Paradigma.... 4
2.2.
Zentrale theoretische Strömungen und ihre Erklärung für
die exemplarischen Phänomene………………………………………………………………………….4
2.2.1. Informationale Ansätze......................................................... 4
2.2.2. Normative Ansätze............................................................... 5
2.2.3. Integrationsversuche............................................................ 7
2.2.4. Soziale Entscheidungsschemata............................................ 8
2.2.5. Individualpsychologische Ansätze.......................................... 9
3.1.
Individuelle Leistung bei Anwesenheit anderer: Soziale
Aktivierung (social facilitation) vs. Soziale Hemmung (social inhibition)………………………………………………………………………………………………….………10
3.2.
Leistung in interagierenden bzw. interdependenten Gruppen………..11
3.2.1. Potentielle Gruppenleistung in Abhängigkeit
vom Aufgabentyp 12
3.2.2. Klassische Erklärungsrichtungen: Koordinations-
und Motivationsprozesse 12
3.2.3. Kognitive Prozesse............................................................. 13
4.1.
Individuelles Lernen in Anwesenheit anderer……………………………..…14
4.2.
Sozial vermitteltes individuelles Lernen…………………………………………14
4.2.1. Sozio-kognitiver Konflikt..................................................... 14
4.2.2. Internalisierung von Strategien durch
kollektives Handeln...... 15
4.2.3. Beobachtungslernen........................................................... 15
4.3.
Kollektives Lernen in Gruppen……………………………………………………….16
1. Einleitung
In
demokratischen Gesellschaften und Organisationen werden wichtige Entscheidungen
vermehrt von Gruppen getroffen. Auf Gruppenebene sind mehr Ressourcen
intellektueller Art verfügbar als auf individueller Ebene und daher sollten
Gruppen zu qualitativ höherwertigen Entscheidungen führen. Der resultierende
Output einer Gruppe ist dabei von zentralem Interesse. In diesem Artikel werden
die Themen Gruppenurteile und Gruppenentscheidungen, Gruppenleistung, sowie
Gruppenlernen behandelt. Dabei wird immer von grundlegenden Theorien
ausgegangen und dazu werden vereinzelte Phänomene erklärt.
2. Gruppenurteile
und Gruppenentscheidungen
2.1.
Zwei exemplarische Phänomene: Gruppenpolarisierung
und suboptimale Entscheidungen im „Hidden Profile“ Paradigma
Eine
Entscheidung in Gruppen kommt durch das Zusammenführen der Beiträge der einzelnen
Mitglieder zustande. Es gibt unterschiedliche Arten von Beiträgen:
a)
ein Mitglied bringt Wissen ein, und
b)
ein Mitglied verfügt über eine Meinung zum Problem
Diese
individuellen Beiträge werden in der Gruppe zu Urteilen und Entscheidungen zusammengefügt,
dabei ergeben sich zwei Phänomene:
2.1.1.
Gruppenpolarisierung
Stoner
(1961, zitiert nach Schulz-Hardt, Greitemeyer, Brodbeck & Frey, 2002, S.
15) machte im Zuge von Untersuchungen zum „Choice Dilemma Questionnaire (CDQ)“
eine interessante Entdeckung. In diesem Fragebogen ist die Versuchsperson vor
eine hypothetische Wahlsituation mit einer sicheren und einer riskanten
Alternative gestellt. Sie muss angeben ab welcher Erfolgswahrscheinlichkeit sie
sich für die riskante Alternative entscheiden würde. Stoner fand heraus, dass
Gruppenentscheidungen und auch Individualentscheidungen nach einer
Gruppendiskussion riskanter ausfielen als Individualentscheidungen vor der
Diskussion. Dieses Phänomen wurde als „risky
shift“ (Risikoschub) bezeichnet. Einige Jahre später entdeckten Moscovici
und Zavalloni (1969) ein allgemeineres Phänomen, die Gruppenpolarisierung: Wenn
der Durchschnitt der Gruppenmitglieder vor der Diskussion schon in Richtung Risikofreudigkeit
tendiert, dann verstärkt sich diese Neigung durch die Gruppendiskussion noch.
Auch im umgekehrten Fall, wenn die Mitglieder eher vorsichtig sind, dann wird
diese Tendenz durch die Gruppendiskussion noch verstärkt.
2.1.2.
Suboptimale Entscheidungen im „Hidden Profile“
Paradigma
Von Gruppenentscheidungen nimmt man an, dass sie
eine höhere Qualität haben als Einzelentscheidungen oder soziale Kombinationen.
Bei sozialen Kombinationen werden Einzelentscheidungen unabhängig voneinander
abgegeben und dann nach einer bestimmten Aggregationsregel zusammengeführt.
Angenommen
eine Gruppe muss sich für eine von zwei Alternativen entscheiden. Für jede
Alternative gibt es geteilte und ungeteilte Informationen. Geteilte
Informationen sind solche, die jedem Gruppenmitglied schon vor der
Gruppendiskussion bekannt sind. Über ungeteilte Informationen verfügt jedoch
nur ein Mitglied. In der Diskussion können die ungeteilten Informationen
vermittelt werden. Wenn die geteilten und die ungeteilten Informationen die
gleiche Entscheidung nahe legen, so kann sich durch den Wissenserwerb keine
höhere Qualität der Entscheidung ergeben. Führt die ungeteilte Information
jedoch zu einer anderen Entscheidung als die geteilte, und ist die
Entscheidung, die aufgrund der ungeteilten Information getroffen wird, die
bessere, so stecken wir in einer „Hidden Profile“- Situation (verstecktes
Profil). Bei einem Hidden Profile wird die beste Alternative erst durch die
Diskussion aufgedeckt, weil ja nur ein Mitglied über die ungeteilte Information
verfügt. Somit ist das Hidden Profile eine Situation in der die Gruppenentscheidung
eine höhere Qualität aufweist als die Individualentscheidung. Leider zeigten
Stasser und Titus (1985, zitiert nach Schulz-Hardt et al. 2003, S. 16), dass
Gruppen bei der Bearbeitung von Hidden Profiles meistens scheitern. Die Gruppe
trifft eine Entscheidung, die aufgrund der geteilten Informationen und der
Individualurteile die beste zu sein scheint, statt derjenigen Entscheidung, die
aufgrund ALLER Informationen die beste ist.
2.2.
Zentrale theoretische Strömungen und ihre Erklärung
für die exemplarischen Phänomene
Nach
Deutsch und Gerard (1955, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 17) gibt
es zwei Hauptströmungen, nämlich informationale und normative Ansätze. Soziale
Entscheidungsschemata sind hiervon abzugrenzen, sie fragen danach wie Gruppenurteile
bzw. –entscheidungen aus Individualurteilen vorherzusagen sind.
2.2.1.
Informationale Ansätze
Informationalen
Ansätzen zufolge, sind Gruppenurteile und –entscheidungen auf die innerhalb der
Gruppe ausgetauschten Sachinformationen zurückzuführen. D.h. die Gruppe trifft
die Entscheidung aufgrund der ausgetauschten Information, die die gewählte
Alternative begünstigt.
Vinokur
und Burnstein (1974, zitiert nach Schulz-Hardt et al. 2002, S. 18) formulierten
die „persuasive arguments theory“,
die annimmt, dass Urteile durch rationale Schlussfolgerungen aus der
vorhandenen Information zu Stande kommen. Jedem Mitglied sind schon vor der
Diskussion einige Argumente bekannt. Je nach dem wie viele und wie stark diese
eigenen Argumente in eine Richtung tendieren, also eher risikofreudig oder
sicher, bildet sich die Person vorab schon eine Meinung. In der Diskussion
lernt das Mitglied neue Argumente von anderen Mitgliedern der Gruppe kennen.
Die Person wird in der Gruppendiskussion eher diejenigen neuen Argumente wahrnehmen
und in ihr Urteil mit einbeziehen, welche auch in die von ihr eingeschlagene
Richtung gehen. Die Diskussion dient also dazu, den Mitgliedern das ihnen
unbekannte Wissen zugänglich zu machen.
Stasser
(1988, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 18) bzw. Stasser und Titus
(1987, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 18) nehmen jedoch als Ursache
für das Scheitern einer Gruppe bei der Lösung eines Hidden Profiles eine
Asymmetrie der Gruppendiskussion an. Geteilte Informationen werden in der Diskussion
häufiger genannt und wieder aufgegriffen, weil sie jedem Mitglied bekannt sind.
Ungeteilte Informationen hingegen werden viel seltener eingebracht und auch
seltener aufgegriffen. Um ein Hidden Profile lösen zu können, müssen aber die
ungeteilten Informationen ausgetauscht und integriert werden. Die mangelnde
Präsenz von ungeteilten Informationen liefert also eine informationale
Erklärung für die seltene Lösung von Hidden Profiles. Je mehr ungeteilte
Informationen in eine Diskussion eingebracht werden, desto höher ist die
Entscheidungsgüte von Hidden Profiles.
2.2.2.
Normative Ansätze
Während
sich die informationalen Ansätze auf die in der Diskussion ausgetauschten
Informationen und Argumente konzentrieren, geht es bei den normativen Ansätzen
um das „Bestreben von Gruppenmitgliedern, sich zu den Erwartungen anderer
Gruppenmitglieder konform zu verhalten und dadurch positiv bewertet zu werden.“
(Deutsch & Gerard, 1955, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 19).
Als primäres Ziel der Gruppenmitglieder wird Konsensfindung angenommen. Außerdem
möchten Mitglieder, dass ihre Meinung im Gruppenprodukt berücksichtigt wird,
was wiederum ein Aushandeln der Entscheidung bewirkt. Nach Gigone und Hastie
(1993, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 19) führen nicht der
verzerrte Informationsaustausch, sondern falsche individuelle Präferenzen zu falschen
Gruppenurteilen. Falls sich die Gruppenmitglieder von Anfang an einig sind, so
findet keine Verhandlung statt, sondern die gemeinsame Meinung wird übernommen
und nicht mehr hinterfragt. Auch wenn keine Übereinstimmung herrscht, wird nur
über diejenigen Argumente verhandelt, die anfangs von zumindest einem Mitglied
präferiert wurden. Im Hidden Profile sollte hingegen kein Mitglied vorab die
richtige Alternative präferieren. Gigone und Hastie (1993, 1997, zitiert nach
Schulz-Hardt et al., 2002, S. 19) zeigten, dass „die Gruppenentscheidungen in
ihren Studien fast nur von den anfänglichen Präferenzen abhingen und die
ausgetauschten Informationen keinen über die Präferenzen hinausgehenden
Einfluss auf die Entscheidung ausübten.“ (Schulz-Hardt et al., 2002, S. 19).
Vertreter
normativer Ansätze nehmen an, es gäbe sozial positiv bewertete und sozial
weniger positiv (oder sogar negativ) bewertete Urteile. Das am positivsten
bewertete Urteil bezeichnet man als „antizipierte Norm“.
Es
gibt zwei Varianten der normativen Erklärung für Gruppenpolarisierung:
Hier
konnte gezeigt werden, dass schon allein das Wissen über die Meinung anderer,
ohne Gruppendiskussion, Polarisierungseffekte auslösen kann.
Janis
(1982, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 20) definierte das „Groupthink“-Modell. Groupthink stellt
dabei „ein übermäßiges Streben nach Einmütigkeit und Harmonie in einer Gruppe,
das einen kritischen Diskurs verhindert“, (Schulz-Hardt et al., 2002, S. 20) dar.
Dadurch, dass die Mitglieder nach Harmonie streben, treten Symptome wie
Engstirnigkeit, Konformitätsdruck und Selbstzensur auf, was wiederum zu Fehlern
im Entscheidungsprozess führt. Im Hidden Profile werden suboptimale
Entscheidungen durch individuelle Präferenzen getroffen. Ungeteilte Informationen
werden oftmals unterdrückt, weil sozialer Druck innerhalb der Gruppe besteht,
oder weil die Person daran gehindert wird ihren Standpunkt zu vertreten, weil
ihre Meinung zu stark von der in der Gruppe dominierenden Meinung abweicht.
Groupthink tritt nach Janis (1982, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S.
20) nur dann auf, wenn die Gruppe extremem Entscheidungsstress ausgesetzt ist,
z.B. wenn alle Alternativen zu gravierenden Verlusten führen, und wenn die
Gruppenstruktur vorschnelle Konsensfindung fördert (direktive Führung,
Abschottung nach außen, homogener sozialer und ideologischer Hindergrund, keine
festgelegten Prozeduren der Entscheidungsfindung). In eng zusammenhaltenden
Gruppen kann Groupthink Stress reduzieren. Allerdings sind die empirischen Nachweise
uneindeutig.
2.2.3.
Integrationsversuche
Aus
heutiger Sicht werden sowohl normative als auch informationale Ansätze für die
Erklärung von Gruppenpolarisierung und Hidden-Profile-Entscheidungen herangezogen.
Dabei gibt es verschiedene Integrationsversuche:
2.2.4.
Soziale Entscheidungsschemata
Soziale
Entscheidungsschemata versuchen das Gruppenurteil aus den vor der Diskussion
bestehenden Individualurteilen VORHERZUSAGEN. Dabei greifen sie auf
verschiedene Kombinationsregeln zurück. „Kombinationsregeln geben an, in
welcher Weise aus den individuellen Positionen der Gruppenmitglieder eine
Gruppenposition gebildet wird.“ (Schulz-Hardt et al., 2002, S. 23).
Die
Theorie der sozialen Entscheidungsregeln von Davis (1973, zitiert nach
Schulz-Hardt et al., 2002, S. 23) spezifiziert verschiedene Regeln:
a)
Die Wahrheit
gewinnt: Die Gruppe trifft die richtige Entscheidung, wenn zumindest ein
Gruppenmitglied diese vertritt.
b)
Die
unterstützte Wahrheit gewinnt: Die Gruppe entscheidet sich für die richtige
Lösung, wenn zumindest zwei Gruppenmitglieder diese vertreten.
c)
Majorität: Die
Gruppe entscheidet sich für die Alternative, die von der Mehrheit vertreten
wird.
d)
Proportionalität:
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Alternative von der Gruppe ausgewählt wird,
ist proportional zu der Häufigkeit, mit der diese Alternative von den
Gruppenmitgliedern präferiert wird.
e)
Gleichwahrscheinlichkeitsregel:
Jede der vorgeschlagenen Alternativen wird mit der gleichen Wahrscheinlichkeit
von der Gruppe ausgewählt, unabhängig von der Anzahl der Gruppenmitglieder, die
diese vertreten. (Davis, 1973, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 23 -
24)
„Die
Vorhersagegüte der verschiedenen Modelle hängt hauptsächlich vom Aufgabentyp
ab. Bei Problemlöseaufgaben mit richtiger Lösung treffen die Aggregationsregeln
„die Wahrheit gewinnt“ bzw. „die unterstützte Wahrheit gewinnt“ die besten
Vorhersagen. Dagegen ist bei Entscheidungsaufgaben mit keiner offensichtlich
richtigen Lösung die Mehrheitsregel der beste Prädiktor für die
Gruppenentscheidung.“ (Laughlin, 1980, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002,
S. 24).
Soziale
Entscheidungsschemata können in unterschiedlicher Weise genutzt werden:
2.2.5.
Individualpsychologische Ansätze
In
letzter Zeit sind theoretische Ansätze entstanden, die zeigen, dass
Gruppenphänomene auch alleine aufgrund individualpsychologischer Mechanismen
entstehen können, also ohne normative oder informationale Gruppenprozesse. Nach
Brauer, Judd und Gliner (1995, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 26)
genügt es, in der Diskussion öfters seinen Standpunkt zu vermitteln oder diesen
vermehrt zu hören, um eine Extremisierung dieses Standpunktes auszulösen. In Experimenten
dazu konnte nachgewiesen werden, dass die Wiederholungshäufigkeit und die
Darbietungshäufigkeit zu systematischen Polarisierungseffekten führen.
Greitemeyer
und Schulz-Hardt (im Druck) zeigen, dass Hidden-Profiles auch ohne normative
oder informationale Fehler scheitern können. In ihren Experimenten erhielten
Probanden dieselben Informationen wie in der Gruppensituation, jedoch lasen sie
ein Protokoll der Diskussion anstatt sie selbst durchzuführen. Die Lösung
scheiterte in mehr als 80 % der Fälle. Als Grund nennen Greitemeyer und
Schulz-Hardt (im Druck), dass die Probanden präferenzstützende Informationen
für glaubwürdiger und wichtiger hielten als präferenzkonträre. Das führt dazu,
dass man ungeteilte neue Information während der Diskussion zwar registriert,
aber als unwichtig und unglaubwürdig hält und daher an der anfänglichen
Präferenz festhält.
Individualpsychologische
Ansätze schließen normative und informationale Prozesse nicht aus, sie wollen
darauf hinweisen, dass es, um Gruppenprozessen entgegenzusteuern, nicht
ausreicht, Prozesse auf Gruppenebene zu optimieren. Man sollte messen welches
Ergebnis auf Gruppenebene zu erwarten ist, wenn keine Gruppenprozesse stattfinden.
3. Gruppenleistung
Zentrale
Fragen sind „diejenigen Mechanismen zu bestimmen, die sich förderlich oder
hinderlich auf den quantitativen und/oder qualitativen Output bei Gruppenarbeit
auswirken.“ (Schulz-Hardt et al., 2002, S. 27).
3.1.
Individuelle Leistung bei Anwesenheit anderer:
Soziale Aktivierung (social facilitation) vs. Soziale Hemmung (social inhibition)
Schon
allein die Anwesenheit anderer kann zu sozialer Aktivierung oder sozialer
Hemmung führen. Dabei müssen die anderen Personen nicht zwangsläufig die
gleichen Aufgaben bearbeiten, sie können auch nur Zuschauer sein. Aus heutiger
Sicht kann gesagt werden, dass bei einfachen Routine-Aufgaben die Anwesenheit
anderer zu Leistungssteigerungen führen. Bei der Bearbeitung neuer und
schwieriger Aufgaben treten jedoch Leistungsminderungen im Vergleich zur
individuellen Bearbeitung auf. Allein das Wissen beobachtet zu werden übt eine
Wirkung auf die Leistung aus, wie z.B. bei elektronischer Überwachung von
Bildschirmarbeit. Es haben sich zwei Kategorien an Erklärungsansätzen
herauskristallisiert:
3.2.
Leistung in interagierenden bzw. interdependenten
Gruppen
Die
Annahme, dass Gruppen höherwertige Leistungen erbringen als Individuen, wurde
auf das gegenseitige Korrigieren von Fehlern der Gruppenmitglieder
zurückgeführt. Lorge und Solomon (1955, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002,
S. 31) zeigten, dass Gruppen ihre Ressourcen bei weitem nicht optimal nutzen.
Daraus entwickelte sich das Prinzip, potentielle Leistungen realen Leistungen gegenüberzustellen
und nach Mechanismen für diese Diskrepanz zu suchen.
3.2.1.
Potentielle Gruppenleistung in Abhängigkeit vom Aufgabentyp
Die
potentielle Leistung einer Gruppe ergibt sich aus der Zusammenführung der
individuellen Leistungsfähigkeiten der einzelnen Gruppenmitglieder mittels
einer Kombinationsregel. Welche Kombinationsregel angewendet wird, hängt vom
Aufgabentyp ab; hier werden drei unterschieden:
Ringelmann
(1928, zitiert nach Kravitz & Martin, 1986) zeigte, dass die Leistung pro
Person mit zunehmender Gruppengröße abnahm, also je größer die Gruppe, desto
geringer die individuelle Leistung.
3.2.2.
Klassische Erklärungsrichtungen: Koordinations- und
Motivationsprozesse
Die
Diskrepanz zwischen realer und potenzieller Gruppenleistung wird durch zwei
verschiedene Typen von Prozessverlusten erklärt:
Man
kann Motivationsverluste dadurch erklären, dass nur ein geringer Zusammenhang
besteht zwischen individuellem Aufwand und individuellem Ertrag. Sie können
gesenkt oder gar verhindert werden, wenn die Identifizierbarkeit, die
Unentbehrlichkeit sowie die Bewertungsmöglichkeit der individuellen Beiträge
erhöht wird, die Aufgabe attraktiv ist und die Gruppenmitglieder sich für das
Gruppenergebnis verantwortlich fühlen. (Karau & Williams, 1993; Shepperd,
1993, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 33).
Collins
und Guetzkow (1964, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 33) weisen
darauf hin, dass die reale Gruppenleistung auch höher sein kann als die
potentielle, wenn die Gruppe ein Ergebnis erreicht, das weder eine einzelne
Person alleine erreichen kann noch durch die Kombination der individuellen
Beiträge resultieren würde. Folgende Gleichung bildet die tatsächliche
Gruppenleistung ab:
Tatsächliche Gruppenleistung = Gruppenpotential + Prozessgewinne –
Prozessverluste
Koordinationsgewinne
gibt es nicht, also können Prozessgewinne nur durch Motivationsgewinne erreicht
werden.
3.2.3.
Kognitive Prozesse
Vereinfacht
könnte man sagen, dass die normativen Prozesse motivational und die
informationalen Prozesse kognitiv fundiert sind. Vor allem seitdem vermehrt
kognitive Aufgaben Gegenstand der Forschung zu Gruppenleistung sind, scheint es
angebracht, neben Koordinations- und Motivationspozessen auch eine dritte,
kognitive Komponente mit einzubeziehen. Bestimmte informationale Reize von
anderen Mitgliedern können den individuellen Beitrag beeinflussen. Beim
Brainstorming wird z.B. durch mehrere in eine bestimmte Richtung gehende
Argumente auch das Denken der übrigen Mitglieder in diese Schiene gedrängt.
Andererseits kann das Hören dieser Argumente den eigenen Horizont erweitern und
kognitiv stimulieren.
4. Gruppenlernen
Für
Schulz-Hardt et al. (2002) stellt der „Einsatz von Gruppen eine Investition
dar, deren anfängliche Kosten sich erst im Laufe der Zeit amortisieren und die
dann durch entsprechende Qualitätsgewinne auf individueller und kollektiver
Ebene gerechtfertigt werden“. (Schulz-Hardt et al., 2002, S. 35). Solche
Qualitätsgewinne sind an Lernprozesse in Gruppen gebunden. Bisher gibt es zwei
Erklärungen für Leistungsverbesserungen, nämlich individuelle und kollektive
Lernprozesse. Individuelles Lernen umfasst Wissenserwerb, Automatisierung und
Routinisierung. Kollektives Lernen hingegen beschreibt die „Entwicklung
kollektiver Handlungsroutinen und Normen (Gersick, 1988, zitiert nach
Schulz-Hardt et al., 2002, S. 36), neuer Methoden der Arbeitsteilung und Technologien
(Brodbeck, 1994, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 36), sowie einen
mit kollektiver Erfahrung zunehmender Konsens über Standardprozeduren, das
Imitieren von erfolgreichen Vorgehensweisen anderer Firmen oder den Wissenserwerb
durch Aufnehmen neuer Mitarbeiter in Arbeitsgruppen und Organisationen.“ (Levitt
& March, 1988, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 35).
4.1.
Individuelles Lernen in Anwesenheit anderer
Bei
additiven Aufgaben treten Prozessverluste auf. Gruppen lernen zwar mehr als
Individuen, jedoch erreichen Gruppen nicht die potentielle Lernleistung, die
aus der Kombination der einzelnen Lernleistungen resultieren sollte. Da es sich
hier um das Erlernen neuer Verhaltensweisen oder Gedankengänge handelt, treten
Hemmungseffekte durch die Anwesenheit anderer auf.
4.2.
Sozial vermitteltes individuelles Lernen
Darunter
versteht man das Aufnehmen und Austauschen von handlungsrelevanter Information
bei gemeinsamer Gruppenarbeit. In der sozialpsychologischen Gruppenforschung
wird von „group-to-individual transfer“ gesprochen. Positiver G-I-Transfer
liegt vor, wenn individueller Leistungszuwachs durch vormaliges kollektives
Handeln in Gruppen entsteht. Für die Erklärung positiver Lerntransfereffekte
gibt es drei Mechanismen: sozio-kognitiver Konflikt, Internalisierung von
Strategien durch kollektives Handeln und Beobachtungslernen.
4.2.1.
Sozio-kognitiver Konflikt
Entwicklungspsychologische
Forschungen zeigen, dass bestimmte interpersonale Konflikte in Gruppen die
kognitive Entwicklung von Kindern fördern können. In Peer-groups können sich
widersprechende Auffassungen beim kollektiven Handeln entstehen und die
Motivation eine Lösung zu finden, kann Leistungsverbesserungen bewirken.
Bedingung für eine Leistungsverbesserung ist, dass der Konflikt am Sachverhalt
und nicht am sozialen Konsens orientiert ist. Im Rahmen der sozialpsychologischen
Forschung über Minoritätseinfluss bei Gruppen von erwachsenen Menschen wurde
herausgefunden, dass unter bestimmten Bedingungen der Minoritätseinfluss zu
besserer individueller Informationsverarbeitung anregt. Wird danach gefragt was
richtig ist, so tritt divergentes Denken auf. Wird jedoch danach gefragt wer
Recht hat, so führt dies eher zu konventionellen Lösungsbeiträgen.
Nach
Schulz-Hardt, Frey, Lüthgens und Moscovici (2000) sowie Schulz-Hardt, Jochims
und Frey (2002, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 38) führt
Minoritätseinfluss zu einer Reduktion von Selbstbestätigungstendenzen und somit
zu einer ausgewogenen Informationssuche bei Gruppenentscheidungen. Wenn alle
Gruppenmitglieder unterschiedliche Meinungen haben, so kann eine Verbesserung
des Informationsflusses in der Diskussion und eine Steigerung der
Lösungshäufigkeit bei Hidden Profiles beobachtet werden. (Brodbeck et al.,
2002, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 38).
4.2.2.
Internalisierung von Strategien durch kollektives
Handeln
Vygotsky
geht davon aus, dass Problemlöseprozesse, die auf kollektiver Ebene offenbar
werden und etwas oberhalb des aktuellen Entwicklungsniveaus des Lernenden
liegen, zu kognitiver Entwicklung führen (Vygotsky, 1978, zitiert nach
Schulz-Hardt et al., 2002, S. 38). Der Lernende internalisiert die Strategien
und zeigt dadurch in späteren Situationen bessere Leistungen.
4.2.3.
Beobachtungslernen
Laughlin
und Jaccard (1975, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 38) zeigen, dass
Beobachtungslernen nur bei Beobachtung kollektiver Aktivitäten möglich ist,
nicht jedoch wenn man eine Einzelperson beobachtet. Mit zunehmender Erfahrung
erlernen Gruppenmitglieder Handlungsstrategien, die im kollektiven
Handlungskontext relevant sind. Sie lernen besser zu kooperieren, treffen
Entscheidungen zügiger und können Konflikte besser bewältigen. Außerdem lernen
sie Fehler schneller zu erkennen und zu korrigieren auf drei Arten: (Brodbeck
& Greitemeyer, 2000b, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 38)
a)
G-I Transfer:
sie erkennen und korrigieren eigene Fehler bei der individuellen
Aufgabenbearbeitung besser
b)
Gegenseitige
Fehlerkorrektur: sie erkennen und korrigieren die Fehler anderer bei der
Gruppendiskussion
c)
Kollektive
Fehlerkorrektur: sie erkennen und korrigieren fehlerhafte Gruppenlösungen
besser.
Durch
die gegenseitige Fehlerkorrektur und die kollektive Fehlerkorrektur kann man
Gruppenlernen erklären.
4.3.
Kollektives Lernen in Gruppen
Seit
kurzer Zeit wird eine Art „kollaboratives Denken“ auf Gruppenebene angenommen,
d.h. Gruppenlernen lässt sich nicht durch individuelles Lernen erklären. Das
Konzept des transaktiven Wissenssystems kann kollektives Lernen auf
Gruppenebene erklären: Nach Wegner (1986, zitiert nach Schulz-Hardt et al.,
2002, S. 39) ist ein transaktives Wissenssystem „ein von einer Gruppe geteiltes
System der Enkodierung, Speicherung und des Abrufs von Informationen“. Damit
ist einzelnen Mitgliedern nicht nur ihr eigenes Wissen zugängig, sondern auch
jenes anderer Gruppenmitglieder. Durch Fragen und um Hilfe bitten kann das
verteilte Wissen für alle nutzbar gemacht werden. Stasser, Stewart und
Wittenbaum (1995, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002, S. 39-40)
postulieren, dass alleine das Wissen, wer über welches Wissen verfügt, die
Nutzung ungeteilter Information und damit die Lösung eines Hidden Profiles
verbessert. Transaktive Wissenssysteme bilden sich allerdings erst mit der
Zeit. Liang, Moreland und Argote (1995, zitiert nach Schulz-Hardt et al., 2002,
S. 40) zeigten, dass transaktive Wissenssysteme durch aufgabenbezogenes
Gruppentraining besser entwickelt werden als durch
a)
Individualtraining
b)
Aufgabenneutrales
Teamentwicklungstraining und
c)
Aufgabenbezogenes
Gruppentraining mit anschließender Neuzusammenstellung der Gruppen.
Für
die sozialpsychologische Forschung heißt das, dass bei Studien, in denen
Gruppen nur kurzfristig zusammenarbeiten, Verzerrungen auftreten. Wenn
wiederholte Aufgabenbearbeitungen auf kollektiver und individueller Ebene
untersucht würden, könnte man Erkenntnisse darüber gewinnen ob auch
individuelle Ressourcen durch transaktionales Wissen gefördert werden können
(positiver G-I Transfer) oder gehemmt werden (negativer G-I Transfer). Dadurch,
dass Gruppenarbeit unter Umständen eine Aufteilung der Arbeiten und somit eine
gewisse Spezialisierung der Mitglieder auf ihr Gebiet erfordert, könnte sogar
der Fall auftreten, dass ein Mitglied in einer späteren Situation nicht fähig
wäre, die Aufgabe alleine zu lösen. Das Ergebnis transaktionaler Wissenssysteme
wären somit Leistungsgewinne auf Gruppenebene und Leistungsverluste auf
individueller Ebene. Verlässt ein Mitglied, das eine Schlüsselstellung
innerhalb der Gruppe einnimmt, das Team, so kann es unter Umständen eine
geraume Zeit dauern, bis die Gruppenmitglieder wieder ein effektives transaktives
Wissenssystem hergestellt haben. Dieses Phänomen lässt sich nach Argote (1993)
als „organizational forgetting“ (kollektives Vergessen) bezeichnen.
5. Zusammenfassung und Ausblick
Wir
haben gesehen, wie Fehlentscheidungen in Gruppen zu Stande kommen, und wie man
sie vermeiden kann, in welchen Situationen man besser Individualentscheidungen
annimmt oder auf Gruppenurteile zurückgreift.
Sozialpsychologische
Theorien zu Leistung und Entscheidungsprozessen in Gruppen werden seit geraumer
Zeit in der Arbeits- und Organisationspsychologie angewendet, um die Leistungen
von Gruppen in Organisationen zu steigern. Allerdings muss eingeräumt werden,
dass diese Theorien meist aus Laborexperimenten abgeleitet wurden und somit keine „real life“-Gruppen
untersucht wurden. Zukünftige Forschung sollte Gruppen noch mehr als komplexe
und dynamische Systeme anerkennen und sie auch im Feld untersuchen.
6. Literaturverzeichnis
Schulz-Hardt, S.,
Greitemeyer, T., Brodbeck, F. C. & Frey, D. (2002). Sozialpsychologische Theorien zu Urteilen, Entscheidungen, Leistung und
Lernen in Gruppen.
IN:
D.
Frey & M. Irle (Hrsg.) (2002). Theorien
der Sozialpsychologie. Band II: Gruppen-, Interaktions- und Lerntheorien.
Bern: H. Huber (2. erw. Aufl.), S. 13-41.